Über die Relevanz von Digitalen Zwillingen für Konsumgüter
Erläuterung der Mehrwerte in 8 Anwendungsszenarien
Der “Digitale Zwilling“ wird allgemein definiert als Repräsentanz eines physischen Produkts, einer Dienstleistung oder eines Prozesses der realen Welt in der digitalen Welt. Der Umfang des Digitalen Zwillings kann variieren - von "Daten-Zwillingen", die Daten von bzw. für die physischen Objekte sammeln, bis hin zu "Simulations-Zwillingen", die speziell für die Produktentwicklung und Konstruktion komplexer Objekte eingesetzt werden.
In diesem Artikel geht es um den Digitalen Zwilling in einem weiteren spannenden Anwendungsbereich. Ich zeige anhand von acht Anwendungsszenarien, dass es auch bei Konsumgütern klare Mehrwerte durch den Einsatz des Digitalen Zwillings gibt - sowohl für Marken und Händler als auch für Konsumenten.
1. Fälschungsschutz
Es gibt zwei Treiber im Kontext Fälschungsschutz: Einerseits gibt es zunehmend regulatorische Anforderungen in bestimmten Ländern und Märkten, die die eindeutige Kennzeichnung und manchmal auch die Nachverfolgung von Artikeln erfordern. Russland beispielsweise nimmt derzeit immer mehr (Konsum-) Produkte in den Geltungsbereich seines digitalen Nachverfolgungssystems Chestny ZNAK auf - eine verpflichtende Kennzeichnung mit einer eindeutigen Kennzeichnung gibt es bereits für Produkte wie Medikamente, Schuhe, bestimmte Modeartikel, Parfums, Milchprodukte und Wasser.
Andererseits wollen Marken ihre Produkte und ihren Ruf schützen, ohne dass es einer gesetzlichen Regelung bedarf. In diesem Fall ist eine eindeutige Artikelkennzeichnung nur ein Puzzlestück im Anti-Fälschungskonzept der Marke. Neben Kopierschutzmaßnahmen am Produkt selbst (z. B. manipulationssichere Verschlüsse) bieten zusätzliche Verifizierungsdienste den relevanten Akteuren in der Lieferkette (wie Großhändlern, Einzelhändlern und Endverbrauchern) die Möglichkeit, die Artikel durch Scannen der eindeutigen Kennung zu überprüfen.
Je nach Datenträger kann es leicht möglich sein, eine eindeutige Kennzeichnung zu kopieren, daher sollte der Verifizierungsdienst verschiedene Kriterien für die Verifizierung berücksichtigen (z. B. Daten aus der Lieferkette) um einen Indikator für die Produktoriginalität basierend auf der Analytik zu ermitteln.
Eine bessere, aber teurere Alternative ist die Verwendung von Datenträgern mit speziellen Sicherheitsmechanismen, so ermöglichen bspw. kopiergeschützte NFC (Near Field Communication)-Tags in Kombination mit digitalen Zertifikaten eine zusätzliche Sicherheitsebene: Das Antippen eines Produkts mit einem NFC-Tag ermöglicht das Lesen und verschlüsselte Senden des eindeutigen Inhalts selbst (z. B. eindeutige URL inkl. eindeutiger Artikelkennung).
Gegebenenfalls kann ein spezieller, eindeutiger, eingebetteter Code des Chips zur Anfrage hinzugefügt werden. Die verschlüsselten Daten/Nachrichten werden dann mit dem geheimen Schlüssel entschlüsselt, der nur dem Validierungsdienst/Server zur Verfügung steht. Der webbasierte Validierungsdienst kann die Authentizität des Tags prüfen und die Gültigkeit der Informationen anhand der in der URL enthaltenen Informationen verifizieren - der Verbraucher benötigt nicht einmal eine spezielle App auf seinem mobilen Gerät.
Darüber hinaus bieten führende Tag-Anbieter zusätzliche Sicherheitsfunktionen: Erstens werden die Authentifizierungsdaten des Tags bei jedem Auslesen automatisch generiert (Tap-Zähler) und übertragen. Zweitens können Statusinformationen wie z. B. solche über gebrochene Siegel hinzugefügt werden.
2. Graumarkt-Erkennung
Graumärkte, auf denen Waren über inoffizielle Kanäle gekauft und verkauft werden, sind nicht vollständig illegal, stellen aber ein großes Problem für Marken von Konsumgütern dar, da Preisstrategien und autorisierte Vertriebskanäle untergraben werden. Die Entdeckung solcher Graumarkt-Produkte ist oft zeitaufwändig und mit hohem Aufwand und Kosten verbunden, da häufig Testkäufe innerhalb des spezifischen Marktes notwendig sind.
Indem man Kunden genügend Anreize (z.B. ein besonderes Kundenerlebnis) bietet, Artikel zu scannen (vor, während oder nach dem Kauf), gewinnt das Unternehmen durch die Aktivitäten der Kunden wichtige Informationen zur Graumarkterkennung. Durch den (automatisch) Abgleich von Geo-Standorten jedes Scans auf der einen Seite und Lieferketteninformationen auf der anderen Seite sind Abweichungen von Soll- und Ist-Standorten leicht zu erkennen. Muster von Abweichungen helfen ferner, Quellen für Graumarktware für weitere Untersuchungen zu identifizieren.
3. Bestandsverwaltung
Im Vergleich zur Bestandsführung durch Scannen von gedruckten Codes (z. B. Barcode, QR-Code oder Data-Matrix-Code) - oder noch schlimmer mit Papier und Bleistift - ermöglicht die RFID-Technologie (Radio Frequency Identification) eine wesentlich schnellere Ermittlung von aktuellen Bestandsmengen. Mit RFID ist keine Sichtverbindung zu den zu zählenden Objekten erforderlich. Außerdem wird das Genauigkeitsniveau deutlich erhöht, da Bestandsmengen mit bis zu 100 % Genauigkeit ermittelt werden können.
Ein bekanntes Beispiel für den Einsatz von RFID ist der spanische Moderiese Inditex, der hinter Marken wie Zara und Massimo Dutti steht und einer der größten Modehändler der Welt ist. Jedes Kleidungsstück wird durch einen RFID-Chip identifiziert, der in die elektronische Diebstahlsicherung integriert ist. Nach Hinzufügen und Aktivieren des Chips ist der Standort jedes Kleidungsstücks über die gesamte Lieferkette bis hin zum Ladengeschäft bekannt.
Sobald nach dem Kauf die Diebstahlsicherung entfernt wird, werden die Daten auf dem Chip gelöscht und die Diebstahlsicherung mit integriertem Identifikations-Tag kann für ein anderes Kleidungsstück wiederverwendet werden. Außerdem kann jeder Einzelhändler ohne großen Aufwand genaue Informationen über den Bestand sammeln.
Inditex profitiert daher von den folgenden Vorteilen:
4. Supply Chain Management
Eine eindeutige Artikelkennzeichnung ermöglicht die (Nach-)Verfolgung aller Produktarten während ihres gesamten Lebenszyklus. Betrachtet man die „Upstream Supply Chain“ so können Inhaltsstoffe und Zwischen- bzw. Vorprodukte nachverfolgt werden, um die genaue Zusammensetzung der Endprodukte zu kennen (z. B. Teile eines Fahrrads).
Mit Blick auf die „Downstream Supply Chain“ sollen fertige (Konsumenten-)Produkte und ihre Bewegungen verfolgt werden. Durch Aggregation ist bekannt, welche Artikel in einen bestimmten (Versand-) Karton gepackt werden und welche Kartons auf eine bestimmte Palette gepackt werden. Durch die Kenntnis der Bewegungen der Palette kennt man automatisch auch die Bewegung der einzelnen Artikel.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es durch die eindeutige Kennzeichnung von Vorprodukten möglich ist, zunächst eine Artikelhierarchie für das fertige Endprodukt aufzubauen. Weiterhin können durch den Aufbau von Verpackungshierarchien die Artikel leichter in der Lieferkette (nach-)verfolgt werden.
5. Unterstützung bei der Entscheidungsfindung
Manchmal ist der Platz auf der Verpackung eines Produkts begrenzt und es gibt oftmals noch viel mehr nützliche Informationen. Durch Scannen eines Codes oder Antippen des Produkts können Verbraucher auf eine Webseite mit zusätzlichen Informationen und/oder Werbeaktionen geleitet werden.
Auch wenn sich die meisten Informationen sicherlich auf das Produkt selbst beziehen (Eigenschaften, Bewertungen, Gebrauchsanweisungen usw.), können manchmal auch Informationen auf der Ebene der individuellen Artikel einen Mehrwert bieten und/oder eine Kaufentscheidung positiv beeinflussen. Zum Beispiel könnten Produktionszeitstempel, Informationen zur Qualitätsprüfung und Nachhaltigkeits-KPIs für Verbraucher relevant sein.
Im Hinblick auf Sekundärmärkte bekommen Informationen auf Artikelebene eine noch größere Bedeutung. Digitale Servicebücher bieten zum Beispiel eine vollständige Artikelhistorie inkl. Ersatzteilwechsel und Wartungsaktivitäten.
6. Customer Experience - unabhängig von Touchpoints
Die Schlüsselfrage ist, wie das Scannen und Abgreifen von eindeutigen Identifizierungsmerkmalen das Benutzererlebnis verbessern und somit Konsumenten zum Scannen oder Tappen bewegen kann. Die Wahrheit ist, dass es keine allgemeingültige Antwort gibt.
Für jede einzelne Branche, jedes Unternehmen und/oder jedes Produkt müssen individuell die "richtigen" Anreize gefunden werden. Konzepte, die für die eine Marke funktionieren, müssen nicht unbedingt auch für eine andere funktionieren. Es folgen einige Beispiele für verschiedene Arten von Kundenerlebnissen:
- Verbraucherinformationen vor, während und nach dem Kauf: Einfache Weiterleitung zu einer Produktinformations-Website mit aktuellen Pflege-, Gebrauchs- oder Installationsanweisungen in der gewünschten Sprache
- Virtuelle Kaufberatung (z. B. über mobile App, welche z. B. die persönlichen Hautmerkmale kennt und die passenden Hautpflegeprodukte empfehlen könnte)
- On-Spot-Promotions (auch verbraucherindividuelle Promotions sind möglich)
- Alle möglichen Arten von Gewinnspielen
- Teilnahme an Kundenbindungsprogrammen
- Selbstbedienungs-Kasse
Mit dem Unique Identifier sind Sie nicht von einem bestimmten Touchpoint (z.B. eigene Filialen) abhängig, um ein Kundenerlebnis zu bieten, dennoch ist ein individuelles Nutzererlebnis durch einen bestimmten Touchpoint möglich.
GS1 unterstützt diesen Ansatz der individuellen Nutzung des Unique Identifiers mit dem so genannten GS1 Digital Link. GS1 Digital Link bindet global verwendete Identifikatoren (wie Produkt- und Seriennummer) in eine Webadresse ein. Intelligente und konfigurierbare "Resolver" leiten den Scanner des Codes an das entsprechende Ziel. Der Resolver könnte zum Beispiel die Ziel-URL je nach Gerät, Anwendung und/oder Ort des Scans unterscheiden.
Das heißt, dass Scans von Lageranwendungen, Filialanwendungen und Endverbrauchern unterschieden werden können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass basierend auf einer einzigen eindeutigen Kennung verschiedene Informationen und/oder Kundenerlebnisse unabhängig voneinander von verschiedenen Organisationen bereitgestellt werden können.
Zusätzlich ist es möglich, das Benutzererlebnis in Abhängigkeit von der Anzahl der Interaktionen zu ändern. Zum Beispiel könnte das erste Kundenerlebnis (z. B. Promotion / Rabatt-Glücksrad) anders sein als ein Folgeerlebnis (z. B. Produktinformationen).
7. Kundenbindung
Als Grundlage für die Kundenbindung ist es das Ziel, die eindeutige digitale ID eines Kunden einfach mit den eindeutigen digitalen IDs der gekauften Artikel der Marke zu verbinden, unabhängig vom Touchpoint oder Geschäft. Wenn die eindeutige ID des gekauften Artikels erst nach dem Kauf bzw. der Öffnung zugänglich ist, kann sie als Nachweis für den Kauf verwendet werden. Statt mühsamer Prozesse für den Kunden (z. B. Ausschneiden, Sammeln und Versenden von Treuemarken) müssen Verbraucher nur noch den Code in der Verpackung scannen.
Neue berührungspunktunabhängige Wege der Kundenerfahrung und verbesserte Kundenbindungsprogramme, wie sie in den vorherigen Abschnitten kurz beschrieben wurden, generieren wertvolle Kundeneinblicke, welche für zukünftige Produkt- und Service-Innovationen genutzt werden können.
8. Selbstbedienungs-Zahlung über Mobiltelefon im Ladengeschäft
Lange Warteschlangen an den Kassen können ein Einkaufserlebnis erheblich beeinträchtigen. Um Wartezeiten zu vermeiden und um Produkte schneller kaufen zu können, scannen Kunden die eindeutige Kennung eines Produkts mit der Kamera ihres Mobiltelefons oder tippen das Produkt im Falle von NFC-Tags an.
Die erfassten Artikel werden in einem virtuellen Einkaufswagen gespeichert und können einfach über die mobile App und bekannte Zahlungsmethoden (je nachdem, welche Zahlungsoptionen der Händler anbieten möchte) bezahlt werden.
Quellen
https://businesslogisticsupf.wordpress.com/2016/11/20/what-is-inside-the-zara-alarms/
https://digital.hbs.edu/platform-rctom/submission/efficiencies-through-digitialization-of-supply-chain-at-inditex/https://us.fashionnetwork.com/news/inditex-controls-the-whereabouts-of-more-than-1-billion-garments,669270.html
https://www.gs1.org/standards/gs1-digital-link
https://www.capgemini.com/de-de/2020/03/invent-self-checkout/